Von BAG Betrieb & Gewerkschaft
Die Titel-Story unserer Mai-Ausgabe: Tarifpolitik verschärft sich unter den Bedingungen von Krise und Krieg. Die anhaltende Krisendynamik, die hohe Inflation und die steigenden Energiepreise machen gute Tarifabschlüsse notwendig. Gleichzeitig greift der Staat ein (Konzertierte Aktion). Der Kampf um gute Tarifabschlüsse ist also nicht allein auf der betrieblichen Ebene zu lösen und ruft das politische Mandat der Gewerkschaften auf die Tagesordnung.
Bereits die ersten Monate des Jahres machen deutlich: Die Auseinandersetzungen zwischen Kapital und Arbeit verschärfen sich. So zeigen nicht nur die mehrheitlich zweistelligen Tarifforderungen der Gewerkschaften, wie hoch der Erwartungsdruck unter den Beschäftigten ist. Auch die neue Strategie eines gemeinsamen Streiks zwischen EVG und ver.di, eines sogenannten Megastreiks, unterstreicht: Für ein gutes Ergebnis muss gemeinsam mobilisiert werden.
Gleichzeitig zeigen die Reaktionen der Arbeitgeber eine neue Unversöhnlichkeit in der Auseinandersetzung: Obwohl die Post seit der Pandemie Rekordgewinne einfuhr und die Tarifverdienste hier in den letzten zwölf Jahren deutlich hinter denen anderer Branchen zurückblieben, stellten sich die Arbeitgeber quer. In drei Verhandlungsrunden zeigten sie keinerlei Bereitschaft, die Reallohneinbußen durch ein angemessenes Angebot auszugleichen. Erst die Einleitung der Urabstimmung und die Androhung eines unbefristeten Streiks bewegten sie zum Einlenken. Am Ende stand ein Abschluss, der vor allem für die unteren Lohngruppen eine Steigerung von über 20 Prozent bedeutet. Das Ergebnis zeigt: Tarifabschlüsse oberhalb der Inflation sind möglich, aber sie müssen hart erstritten werden.
Auch im öffentlichen Dienst und bei der Deutschen Bahn zeigt sich, wie zugespitzt es inzwischen am Verhandlungstisch zugeht. 10,5 Prozent bei einer Laufzeit von zwölf Monaten fordert ver.di vor dem Hintergrund von Inflation und Energiekrise. Zwölf Prozent mehr will die EVG. Unverhältnismäßig und überzogen sind diese Forderungen aus Sicht der Arbeitgeber. Mit Blick auf den Megastreik rufen sie nach dem Staat und stellen dabei das Streikrecht in Frage. Versteckte Drohungen gab es sogar von Karin Welge, Präsidentin der Vereinigung der kommunalen Arbeitgeberverbände. Sie mahnte: „Die Gewerkschaften sollten aufpassen, dass sie nicht überziehen.“
Die zugespitzte Auseinandersetzung muss im Kontext von Krise und Krieg gesehen werden und gibt möglicherweise einen Vorgeschmack darauf, dass sich Tarifpolitik unter den Bedingungen von Krise und Krieg verschärft. Die Höhe der Tarifforderungen zeigt: Die anhaltende Krisendynamik, die hohe Inflation und die steigenden Energiepreise machen gute Tarifabschlüsse notwendig. Zusätzlich politisiert werden die Tarifrunden aber dadurch, dass öffentlicher Dienst, Post, ÖPNV und auch der Handel in der Pandemie systemrelevant waren. Deren Beschäftigte haben unter hohem persönlichem Einsatz und großem gesundheitlichem Risiko verhindert, dass die gesellschaftliche Versorgung zusammenbrach.
Hinzu kommt: In der Tarifauseinandersetzung im öffentlichen Dienst sitzen gewählte Politikerinnen und Politiker am Verhandlungstisch. Verhandlungsführerin Nancy Faeser hat bereits auf die „angespannte Haushaltlage bei Bund und Kommunen“ hingewiesen. Und Verteidigungsminister Pistorius merkte an, dass der Tarifabschluss den Spielraum für Investitionen in die Bundeswehr verengen würde. Dabei steht der Abschluss mit einem Gesamtvolumen von 1,4 Milliarden Euro in keinem Verhältnis zu den 100 Milliarden Euro Sondervermögen für die Bundeswehr.
Zunehmend zeigt sich: Die Umverteilungskämpfe werden schwieriger, auch weil der Krieg in der Ukraine finanzielle Ressourcen bindet. Für die Gewerkschaften heißt das, tarifpolitische Fragen verschränken sich mit außenpolitischen Fragen. Der Kampf um gute Tarifabschlüsse ist also nicht allein auf der betrieblichen Ebene zu lösen, sondern ruft das politische Mandat der Gewerkschaften auf die Tagesordnung.