Von Ulrike Eifler
Seit dem 1. September befinden sich mehr als 2,5 Millionen Beschäftigte des Öffentlichen Dienstes im Tarifkampf. Es geht um 4,8 Prozent mehr Lohn, mindestens aber 150 Euro, um 100 Euro für alle Auszubildenden und um eine Arbeitszeitangleichung im Osten an das Westgebiet. Die Vereinigung der Kommunalen Arbeitgeberverbände (VKA) findet die Forderungen der Beschäftigten überzogen. Sie fordern „Augenmaß“ und die Bereitschaft zum Verzicht.
Angesichts klammer Kassen gäbe es keinen Verteilungsspielraum für Lohnerhöhungen. Verhandlungsführer Ulrich Mädge verstieg sich sogar in die Aussage: „Wenn wir in dieser Krise Löhne erhöhen, fehlt das Geld wieder an anderer Stelle, wie beispielsweise bei den Investitionen in die Bildung, ins Klima oder in die Infrastruktur.“ Und für VKA-Hauptgeschäftsführer Niklas Benrath ist es wichtig „dass die Folgen der Pandemie von der gesamten Gesellschaft getragen werden. Davon sind die Beschäftigten des öffentlichen Dienstes nicht ausgenommen.“
Die Reaktion der Arbeitgeber ist unerträglich. Noch vor Wochen wurden die Krankenschwester, die Müllmänner, die Erzieherinnen und Erzieher als Alltagshelden beklatscht. Sie waren es, die während des Lockdowns teilweise unter erhöhtem Infektionsrisiko die Gesellschaft organisiert haben. Sie haben unsere medizinische Versorgung sichergestellt, unseren Müll abtransportiert und unsere Kinder in Notfallbetreuungen beherbergt. Der aktuelle Tarifkampf ist deshalb das konsequente, mutige und selbstbewusste Auftreten der Kolleginnen und Kollegen, die jetzt fordern: Wer systemrelevant ist, der muss auch anständig bezahlt werden!
Erinnert sei an dieser Stelle, dass die Tarifrunde im Öffentlichen Dienst nicht einfach nur eine Tarifauseinandersetzung ist. Verhandelt wird mit dem Bundesinnenminister und auf der kommunalen Ebene mit Bürgermeistern und Kämmerern. Sie fordern von den Beschäftigten die Bereitschaft zum Verzicht, aber bei der Einführung einer Vermögensabgabe, die Reiche und Superreiche zur Finanzierung der Krisenkosten heranziehen würde, bleiben sie passiv. Diese Haltung nimmt schwache Schultern in die Verantwortung, weil sie starke Schultern entlasten möchte.
Seit Jahren sind die öffentlichen Kassen leer und insbesondere die kommunalen Finanzen derart klamm, dass der Investitionsstau der Bundesrepublik inzwischen bei deutlich über 100 Milliarden Euro liegt. Auch ohne Lohnerhöhungen fehlt also seit Jahren das Geld für Bildung, Klima und Investitionen. Und warum? Weil Menschen mit Vermögen konsequent verschont werden. Eigenartigerweise werden die milliardenschweren Einnahmeausfälle durch das Aussetzen der Vermögensteuer oder durch die Aufstockung des Niedriglohnbereichs, die die Unternehmer aus der Verantwortung nimmt, existenzsichernde Löhne zu zahlen, nie zum Argument gegen Lohnerhöhungen herangezogen. Dabei sind gerade sie es, die dafür verantwortlich gemacht werden müssen.
Die anstehende Tarifrunde zeigt, dass sich gesellschaftliche Entwicklungen zuspitzen und die vor uns liegenden Verteilungskämpfe ans Eingemachte gehen. Schon seit längerem fordern Arbeitgeber mit der sogenannten Sozialgarantie eine Festschreibung der Sozialbeiträge auf 40 Prozent – und das obwohl sie nach eigenen Berechnungen und Einschätzungen davon ausgehen, dass die Sozialbeiträge auf 50 Prozent steigen müssten, um die Krisenkosten stabil zu finanzieren. Und Annegret Kramp-Karrenbauer hatte bereits im Herbst 2019, also noch vor der Pandemie eine „Reformagenda 2020“ angemahnt, weil die Sozialsysteme an die „Grenzen des Möglichen und Machbaren“ gekommen seien.
Die Auseinandersetzung der Kolleginnen und Kollegen im Öffentlichen Dienst ist also deutlich mehr als eine Tarifrunde. Sie wird zum Auftakt für weitere Auseinandersetzungen um Verteilungsgerechtigkeit werden. Historisch hatten die starken Gewerkschaften stets die Rolle der Tariflokomotive, weil sie mit guten Abschlüssen zu Messlatte und Orientierung für die Abschlüsse in anderen Branchen wurden. Ein bisschen so ist es auch mit der Tarifrunde im Öffentlichen Dienst. Nicht nur das Tarifergebnis, sondern vor allem die Art wie diese Auseinandersetzung geführt werden wird, wird über Niveau, Stimmung und Erfolg weiterer Auseinandersetzungen entscheiden. Kämpfen heute die Beschäftigten unserer Krankenhäuser, unserer Müllabfuhr oder unserer Kindergärten für sich allein? Dann tun es vermutlich morgen auch die Beschäftigten von Karstadt, übermorgen die Kolleginnen und Kollegen der Automobilzulieferer und in der nächsten Woche die Busfahrer, Zugbegleiter und Service-Mitarbeiter im ÖPNV.
Die Tarifrunde im Öffentlichen Dienst ist eine gesamtgesellschaftliche Auseinandersetzung um Verteilungsgerechtigkeit und um die Frage, was uns öffentliche Daseinsvorsorge, was uns die Betreuung unserer Kinder, die Pflege in Altenheimen und Krankenhäusern oder die öffentliche Müllabfuhr wert sind. Es ist aber auch ein Testlauf dafür, ob wir in der Lage sind, die anstehenden Verteilungskämpfe gemeinsam abzuwenden. Für DIE LINKE ist der Platz selbstverständlich an der Seite der kämpfenden Kolleginnen und Kollegen. Wir müssen aber mehr noch zum Organisator breit aufgestellter Antikrisen-Bündnisse werden, die uns in die Lage versetzen, die Verteilungskämpfe gemeinsam zu führen.
Ulrike Eifler ist Bundessprecherin der BAG Betrieb & Gewerkschaft