Im Tarifstreit bei der Bahn liegt eine Einigung auf dem Tisch. Unsere Bundessprecherin Ulrike Eifler hat sich diese genauer angeschaut und findet, im Bereich der Lohnforderungen sind die Abschlüsse von EVG und GDL nah beieinander. Und doch hat der Abschluss das Potential, die gewerkschaftliche Konkurrenz bei der Bahn weiter zu verschärfen, während die Notwendigkeit einer raschen sozial-ökologischen Wende eigentlich dringend gemeinsames Handeln erfordert.
von Ulrike Eifler
Seit einigen Tagen liegt eine Einigung im Tarifstreit bei der Deutschen Bahn auf dem Tisch. Nicht ohne Grund hatte sich die BAG Betrieb & Gewerkschaft von Anfang an differenziert zu dieser Auseinandersetzung geäußert. Dazu gehörte es einerseits, den Lohnkampf der Bahnbeschäftigten zu unterstützen. Der Anspruch der GDL, nicht hinter den Tarifabschluss des öffentlichen Dienstes mit 3,2 Prozent bei einer Laufzeit von 28 Monaten zurückzufallen, war weder überzogen noch falsch. Der Widerspruch der Arbeitgeber entsprach ihrer üblichen Haltung vor Tarifrunden und wurde von uns klar zurückgewiesen. Auch die Lokführer gehörten schließlich zu den Berufsgruppen, die sich in der Pandemie nicht ins Homeoffice zurückziehen konnten, und weitergearbeitet haben. Gleichzeitig enthielt das Bündel der insgesamt 58 Tarifforderungen auch einige Forderungen, zu der DIE LINKE eine andere Beschlusslage hat. Dazu gehörten beispielsweise die Ausweitung der Leiharbeit auf 60 Monate und die Trennung von Netz und Betrieb.
Jetzt liegt ein Tarifergebnis auf dem Tisch, das nüchtern eingeordnet werden sollte. Unterm Strich bekommen die Beschäftigten 3,3 Prozent mehr Geld. Ab 1. Dezember 2021 gibt es 1,5 Prozent. März bis November sind Leermonate. 2022 folgt eine Nullrunde. Ab 1. März 2023 gibt es noch einmal 1,8 Prozent. Insgesamt liegt die Laufzeit bei 32 Monaten. Der Tarifvertrag endet im Oktober 2023. Der Unterschied zum Tarifabschluss der EVG ist in der Lohnfrage nicht besonders groß. Diese hatte eine Nullrunde für das Jahr 2021 verhandelt, gefolgt von einer Lohnsteigerung von 1,5 Prozent ab 1. Januar 2022. Da es in der EVG zudem einen Grundsatzbeschluss zur Laufzeit von Tarifverträgen gibt, die 24 Monate nicht überschreiten darf, befindet sich die EVG zu dem Zeitpunkt, an dem die Lohnerhöhung von 1,8 Prozent für die GDL-Mitglieder wirksam wird, bereits in der nächsten Tarifrunde. Unterm Strich sind die beiden Lohnabschlüsse also nah beieinander.
Die Coronaprämie von 700 bis 1000 Euro, die in zwei Raten einmal im Dezember 2021 und ein weiteres Mal im März 2023 für GDL-Betriebe ausgezahlt wird – ist dagegen ein attraktives Plus. Eher von Nachteil ist allerdings, dass eine Reihe von qualitativen Regelungen aus dem EVG-Abschluss nicht für GDL-Mitglieder gelten. So zum Beispiel der Demografie-Tarifvertrag. Damit entfällt im kompletten Bereich der GDL der Kündigungsschutz bei Vergabeverlust, Rationalisierungsmaßnahmen oder Krankheit. Einzig die Fahrdienstuntauglichkeit ist abgesichert, gilt aber nicht für alle, weil Beschäftigte im Bordbistro und Disponenten nicht fahrdienstuntauglich werden können. Auch Mobilitätsausgleichszahlungen und -abfindungen greifen hier nicht. Zudem entfällt der Tarifvertrag Arbeit 4.0 im GDL-Bereich. Er enthält wichtige Regelungen zur Telearbeit und die Grundsätze der Rufbereitschaft.
Bleibt noch die Regelung der Betriebsrente. Diese hatte der Arbeitgeber zum 31.Dezember 2020 gekündigt. Die EVG hatte sich hier bereits eine Nachverhandlungsfrist ausbedungen und verhandelt derzeit noch. Parallel dazu setzte sie gegenüber dem Arbeitgeber eine zusätzliche betriebliche Altersvorsorge durch. Die Anwartschaften der Betriebsrenten bleiben für EVG-Mitglieder jedoch bestehen. Die GDL hat nun tariflich geregelt, dass der Bestand der Betriebsrente zum 31.Dezember 2021 geschlossen wird, was den aktuell Beschäftigten die knapp 150 Euro Betriebsrente nach 40 Dienstjahren sichert, aber auf eine Schlechterstellung der Neueingestellten hinausläuft. Für sie greift die Betriebsrente aus diesem Tarifvertrag nicht mehr. Eine alternative Regelung gibt es derzeit nicht.
Wie muss der Tarifabschluss eingeordnet werden? Er stärkt in erster Linie die Lage der Lokführer und Zugbegleiter, verliert aber die restliche Belegschaft aus dem Blick. Daran ändert auch die Erhöhung der Erschwerniszulagen für die Werkstattmitarbeiter nichts. Dies wird besonders deutlich an den fehlenden Kündigungsschutzregelungen. Bereits im März 2021 hatte Claus Weselsky gesagt, dass es keinen umfassenden Kündigungsschutz für alle Beschäftigten bräuchte und dass sich im Bereich der Verwaltung die Mitarbeiter ohnehin nur im Kreis drehten und mindestens die Hälfte von ihnen abgebaut werden könnte. Statt einen Kündigungsschutz für alle auszuverhandeln, hält die GDL am Fahrdienstuntauglichkeits-Tarifvertrag fest. Dieser gilt jedoch nur für Lokführer und Zugbegleitpersonal, alle anderen können nicht fahrdienstuntauglich werden.
Was aber den Konflikt im Betrieb verschärfen wird, ist die im Tarifvertrag festgelegte Einigung auf eine notarielle Auszählung der Gewerkschaftsmitglieder zum 1. Januar 2022. Diese ist notwendig, um zu ermitteln, für wieviele Mitarbeiter der Tarifvertrag gilt. Das Tarifeinheitsgesetz sieht einen Zeitpunkt für eine solche Auszählung zum Abschluss des Tarifvertrages vor. Das wäre in diesem Fall der 16. September 2021. Die Ausdehnung des Zeitpunktes verschafft der GDL nun eine dreieinhalbmonatige Frist zur Mitgliederwerbung. Offensive An- und Abwerbungsversuche sind bereits in Gange und befeuern die innergewerkschaftliche Konkurrenz.
Seit 2008 hat es von Seiten der EVG wiederholt Angebote zur Tarifeinheit gegeben, um in eine gemeinsame Tarifrunde zu ziehen. Diese wurden von der GDL-Spitze bisher mit der Begründung der Tarifautonomie und dem expliziten Wunsch nach Tarifpluralität abgelehnt. Stattdessen wurden in der GDL-Strategie „Zwanzig14“ neben Bahn AG und Arbeitgeberverbänden die EVG und der DGB zur „direkten Konkurrenz“ erklärt. Erst im Juli 2021 erklärte GDL-Chef Claus Weselsky, dass sich die Führungskräfte von DB und EVG „die Taschen vollstopfen und den Beschäftigten Minus- und Nullrunden verordnen“ würden. Das Tarifeinheitsgesetz schadet der EVG ebenso wie der GDL. Statt gemeinsamer Anstrengungen, das Gesetz zu kippen, verschärft sich der gewerkschaftliche Konflikt zunehmend.
Natürlich ist klar: Zum politischen Geschäft gehört es, dass man zu unterschiedlichen tarifpolitischen Einschätzungen bei der Schwerpunktsetzung und Forderungsaufstellung kommen kann. Niemals aber dürfen sich Kollegen eines Betriebes als Gegner gegenüberstehen und gegenseitig diffamieren. Das gilt für Herkunft, Hautfarbe und sexuelle Orientierung ebenso wie für parteipolitische Präferenz und erst Recht für die Gewerkschaftszugehörigkeit. Der gewerkschaftliche Konflikt zwischen EVG und GDL hat ohne Zweifel seine Geschichte. Jetzt aber muss es darum gehen, die Beschäftigten trotz dieser Geschichte zusammenzuführen statt sie auseinanderzutreiben.
Dies gilt umso mehr, je deutlicher uns die politischen Herausforderungen ein gemeinsames Handeln diktieren. Die Gestaltung der Arbeits- und Lebensbedingungen wird unter dem Druck der Pandemie- und Krisenkosten nicht einfacher – auch nicht für die Bahnbeschäftigten. Hinzu kommt, dass der Wunsch, den Bahnkonzern zu zerschlagen, bis weit in die Grünen hineinreicht, die die Trennung von Netz und Betrieb klar befürworten. Der Kampf gegen die Berliner S-Bahn-Privatisierung ist ein Teil dieser Auseinandersetzung. Schon jetzt zeigt sich eine zunehmende Zersplitterung der Tariflandschaft. Mehr als 40 private Verkehrsunternehmen gibt es inzwischen. In einem Teil von ihnen schließt die GDL Haustarifverträge ab und hat Schwierigkeiten, eine vollständige Anpassung an den Tarifvertrag der DB durchzusetzen. Während eine einhundertprozentige Anpassung an die Gehaltsstruktur bei den Lokführern noch gelingt, liegt das Anpassungsniveau der Zugbegleiter bei 96 und im Bereich der Disponenten bei nur noch 87 Prozent.
Hinzu kommt: Die zunehmende gesellschaftliche Spaltung reicht bis weit in die Betriebe hinein. Mit der AfD sitzt inzwischen eine Partei in den Parlamenten, deren spaltende Rhetorik sich auch in den Betrieben widerspiegelt und zudem auf einen tief gespaltenden Arbeitsmarkt trifft. Der Zustand der Einheit in der Klasse ist die Ausnahme, hat Frank Deppe einmal gesagt, die Spaltung die Regel. Aus gutem Grund und vor dem Hintergrund ihrer Geschichte positionieren sich die DGB-Gewerkschaften klar gegen rassistische Ausgrenzung und inzwischen auch gegen die AfD – eine Haltung, deren Wert gar nicht hoch genug geschätzt werden kann und welche die dbb-Gewerkschaften bislang vermissen ließen.
Innerhalb der LINKEN gibt es unterschiedliche Einschätzungen zu den Entwicklungen bei der Bahn. Zur Klärung kann ein gemeinsamer Austausch auf der Vorstandsebene hilfreich sein. Aus gutem Grund hat die BAG Betrieb & Gewerkschaft einen regelmäßigen Dialog der Parteispitze mit den Spitzen der Gewerkschaften angeregt. Er ist inzwischen Beschlusslage und kann angegangen werden. Der innergewerkschaftliche Austausch über die Strategien der EVG kann zudem von den in der EVG organisierten Genossinnen und Genossen beeinflusst werden, ganz so wie es andere Parteien auch tun. Im Mittelpunkt muss dabei die Stärkung der Einheitsgewerkschaft stehen, die sich überparteilich, nicht aber parteipolitisch neutral verhält. Ziel der LINKEN muss also gewerkschaftliche Verankerung sein: um die Gewerkschaften in der Wahrnehmung ihres politischen Mandats zu unterstützen und stärker zu machen. Keinesfalls aber sollte der Mangel an gewerkschaftlicher Verankerung durch eine Debatte vom Spielfeldrand aus kompensiert werden.
Ulrike Eifler ist Bundessprecherin der BAG Betrieb & Gewerkschaft
Zum Thema:
Am 12.09.2021 beschloss der Vorstand der Partei DIE LINKE eine Soli-Erklärung mit den Streikenden bei der Bahn, die sich an der Erklärung der BAG Betrieb & Gewerkschaft orientiert. Darin unterstützt die Partei den Lohnkampf der Beschäftigten und die Lohnforderungen der GDL. Die gewerkschaftliche Spaltung bei der Deutschen Bahn betrachtet DIE LINKE jedoch mit Sorge, denn Gewerkschaftspolitik muss alle Beschäftigten im Blick haben. Das Tarifeinheitsgesetz von 2015 verschärft die Auseinandersetzungen unter den Beschäftigten und vertieft die Spaltung im Betrieb. Die LINKE lehnt daher das Tarifeinheitsgesetz ab und verteidigt das Recht auf Streik: DIE LINKE unterstützt den Lohnkampf der Beschäftigten bei der Deutschen Bahn
Bei der Deutschen Bahn stehen die Zeichen auf Streik. Durch den Arbeitskampf der GDL gerät auch der langjährige Konflikt mit der EVG wieder in den Fokus der Aufmerksamkeit. Warum der Grundgedanke der Einheit historische Verpflichtung ist und es deshalb aus linker Sicht keine uneingeschränkte Solidarität mit der GDL geben kann, erklärt Ulrike Eifler, unsere Bundessprecherin und Bundestagskandidatin für DIE LINKE.NRW, im Gespräch mit Jan Richter: Eine uneingeschränkte Solidarität mit der GDL kann es nicht geben
Der Streik der GDL und das Konkurrenzverhältnis mit der EVG bewegt auch in der Partei DIE LINKE die Gemüter. In den Diskussionen stehen sich zwei Erzählungen gegenüber: die der stets streikbereiten und kämpferischen GDL und die der zurückhaltenden EVG. Unsere Bundessprecherin Ulrike Eifler hat mit Andreas Müller gesprochen. Andreas ist Tarifsekretär bei der EVG. Er erklärt, warum der Konflikt zwischen den beiden Gewerkschaften ein Problem ist und warum sich die EVG mit ihren Abschlüssen nicht verstecken muss. Interview: Unsere Tarifabschlüsse sind überdurchschnittlich