Friedenskonferenz: Als Beschäftigte im Güterverkehr sind wir Beteiligte am Transport von Militärbewegungen, das belastet viele Kollegen (Florian Witte)

Krieg bedeutet Tod und Zerstörung, aber er reicht auch bis weit in die Arbeitsbedingungen hierzulande. Während der Druck in den Rüstungsbetrieben steigt, wird für die Pflegekräfte die Zeitenwende im Gesundheitswesen ausgerufen. Für Journalisten verengt sich der Meinungskorridor der Berichterstattung. Und Lokführer müssen Entscheidungen über Waffenlieferungen treffen. Darüber brauchen wir eine offene Debatte, sagt der Eisenbahner Florian Witte im Interview mit unserer Bundessprecherin, Ulrike Eifler, und freut sich auf die Diskussion bei der Gewerkschaftskonferenz für den Frieden, die vom 14.-15. Juni in Stuttgart stattfindet.

BAG Betrieb & Gewerkschaft: Florian, du bist Mitglied der Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft und aktiver Betriebsrat. Warum ist Frieden ein Thema für dich als Gewerkschafter?

Florian Witte: Frieden ist die Basis für ein gutes Leben, jeder Mensch sollte unter friedlichen Bedingungen leben dürfen. Es gibt in meinen Augen kein höheres Gut, für das es sich einzusetzen gilt. Im Krieg werden Menschen ermordet oder leiden an den Folgen ihrer Verletzungen oder Traumatisierungen. Und es sind Einzelne in Politik und Regierung, die über das Leid so vieler anderer entscheiden.

Das ist vermutlich eine Erfahrung, die du als Gewerkschafter auch bei der Ausgestaltung der Arbeitsbedingungen machst, oder?

So ist es. Hier geht es aber nicht um die Ausgestaltung der Arbeitsbedingungen, sondern um eine ganz grundsätzliche Lebens- und Überlebensfrage. Meine Oma sagte immer mir: „Lieber frieren statt hungern. Lieber hungern statt Krieg.“ Dies bedurfte keiner weiteren Nachfrage von mir zu den Schrecken des Krieges.

Trotzdem muss man sagen, nehmen wir den Krieg ja aus einer Distanz wahr. Macht das den Blick auf die Schrecken des Krieges weniger scharf?

Wir nehmen den Krieg nicht nur aus einer Distanz wahr. Als Beschäftigte im Güterverkehr der Deutschen Bahn sind wir Beteiligte am Transport von Militärbewegungen. Jeden Tag treffen Eisenbahner die Entscheidung, militärische Ausrüstung zu transportieren. Sie dient entweder dem Schutz des eigenen Landes oder der Kriegsführung in anderen Ländern. Wir können schon jetzt nicht mehr sagen, dass uns Aufrüstung und Waffenlieferungen nichts angehen. Für manche gehört das zur Ausführung des Jobs. Für andere aber ist das ein innerer Konflikt, der mitunter zur Selbstkündigung führen kann. Und natürlich gibt es noch ganz, ganz viel dazwischen.

Wie nimmst du die Diskussion zum Thema Krieg in deiner Gewerkschaft wahr?

Bis auf die richtige Forderung, Menschen, die vor den Folgen des Krieges flüchten, in Deutschland aufzunehmen, nehme ich aktuell wenig Diskussion wahr. Natürlich ist die EVG für Frieden, das ist gar keine Frage. Sie ist aber nicht gegen Militärtransporte. Meine Gewerkschaft scheut sich vor dieser Diskussion. Diese Diskussion muss im übrigen auch kein sofortiges und konkretes Ergebnis haben, aber sie muss geführt werden, weil die Waffenlieferungen unsere Kolleginnen und Kollegen belasten. Unsere Mitglieder müssen sich reflektieren können und die Position ihrer Gewerkschaft kennen.

Also wird die Diskussion aus einer gewissen Überforderung nicht geführt?

Das ist mein Eindruck. Sowohl auf örtlicher wie auf bundesweiter Ebene wird das Thema gemieden, weil viele Kolleginnen und Kollegen damit überfordert sind und niemanden verletzen möchten. Zum selben Zeitpunkt aber sterben an einem anderen Ort Menschen, weil sich bei uns zu Wenige um Frieden bemühen.

Du nimmst ja auch an der diesjährigen Gewerkschaftskonferenz für den Frieden teil. Was, denkst du, können wir über die Konferenz hinaus tun, um die Debatte in den Gewerkschaften weiterzuführen?

Aufklärung und Information darüber, wie Kriege beendet werden können und einen persönlichen Bezug herstellen. Damit sich die Kolleginnen und Kollegen für die Beendigung der Kriege einsetzen, müssen sie wissen, welche Lösungsmöglichkeiten es gibt. Das ist vor allem deshalb wichtig, weil jeder Krieg anders ist und sich die Frage nach Lösungen jedes Mal neu stellt. Allen Kriegen gleich aber ist, dass dort Menschen sterben, und das muss um jeden Preis verhindert werden.

Als abhängig Beschäftigte sind wir an unterschiedlichen Punkten mit Fragen von Krieg und Aufrüstung konfrontiert. Da gibt es die Kollegen in den Rüstungsbetrieben. Es gibt die Pflegekräfte, für die gerade die Zeitenwende im Gesundheitswesen ausgerufen wurde. Es gibt Journalisten, für die sich der Meinungskorridor der Berichterstattung zu verengen scheint. Und es gibt die Lokführer. Was können wir in den unterschiedlichen Arbeitsfeldern tun?

Jede Berufsgruppe muss sich darüber im Klaren sein, wo ihre Berührungspunkte mit dem Thema liegen. Deshalb brauchen wir die Diskussion darüber. Meine Berührungspunkte als Eisenbahner und die Möglichkeiten, die sich daraus ergeben, werde ich gerne mit euch auf der Konferenz diskutieren.

Herzlichen Dank für das Gespräch!


Waffen runter, Löhne rauf: 14./15. Juni im Gewerkschaftshaus Stuttgart

Die Konferenz leistet einen orientierenden Beitrag zur innergewerk-schaftlichen Diskussion und schafft Räume, um aus der Sicht der abhängig Beschäftigten über Frieden und Abrüstung zu diskutieren. So schärfen die Kolleginnen und Kollegen ihre Argumente und können sich selbstbewusst bei Debatten im Betrieb oder in der Gewerkschaft positionieren.

Das Programm kann sich sehen lassen. Die Anmeldung ist freigeschaltet. Alle Informationen findet ihr gebündelt hier: Gewerkschaftskonferenz für Frieden


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