Im ÖPNV stehen die Zeichen auf Streik: Letzten Freitag blieben bundesweit Busse und Bahnen in den Betriebshöfen. Warum das erst der Anfang war und die Gewerkschaft erstmals für eine Tarifrunde eine Allianz mit der Klimabewegung bildet, erklärt uns Andreas Schackert, der bei ver.di für die Tarifverhandlungen im Nahverkehr zuständig ist. Der ÖPNV gilt als ein Schlüssel im Kampf gegen den Klimawandel. Eine funktionierende Infrastruktur nimmt aber auch Politik in Verantwortung. Deshalb geht die Tarifauseinandersetzung im Nahverkehr uns alle an. Es geht um nicht weniger als die Frage, ob wir zukünftig besser leben. Das Gespräch hat Armin Duttine von unserer LAG in Berlin geführt.
BAG Betrieb & Gewerkschaft: Lieber Andreas, du bist als der ver.di-Bundesfachgruppenleiter Busse und Bahnen federführend zuständig für die Tarifverhandlungen im Nahverkehr und auch für die Kampagne „Wir fahren zusammen“. Um welche Beschäftigten geht es denn in dieser Tarifrunde?
Andreas Schackert: In dieser Tarifrunde sind wir mit 90.000 Beschäftigten unterwegs, das sind 16 eigenständige Tarifverträge in kommunalen ÖPNV-Unternehmen in 15 Bundesländern. Bayern ist dieses Mal nicht mit dabei, alle anderen Bundesländer sind dabei mit einem großen Teil der kommunalen Verkehrsunternehmen. Insgesamt sind es 80 Städte und nochmal etwas über 40 Landkreise.
Was sind denn die Hauptforderungen für diese Tarifrunde und wie ist sie angelegt?
Jeder Tarifbereich hat eigene Forderungen. Wir haben in jedem Bundesland einen eigenen Tarifvertrag – außer in Hamburg, dort gibt es 2 Haustarifverträge für die beiden kommunalen ÖPNV-Unternehmen Hochbahn und VHH. Jeder Tarifbereich hat eigene Forderungen aufgestellt. Das verbindende Element ist aber das Thema Entlastung. Denn das Problem ist, dass die Arbeitsbedingungen insbesondere im Fahrdienst, aber natürlich auch in anderen Bereichen, derart belastend sind, dass wir keine Leute mehr finden, die zu diesen Bedingungen arbeiten wollen. Das ist auch der Grund, warum wir bundesweit überall Ausfälle von Verkehren, den Einsatz von Ferienfahrplänen usw. haben. Die Forderungen beziehen sich auf die Entlastung, es geht um kürzere Schichtzeiten, es geht um längere Ruhezeiten, es geht darum, dass weniger unbezahlte Zeiten in den Schichten stecken. Wir haben auch vier Tarifbereiche, in denen Arbeitszeitverkürzung gefordert wird. Das sind so die Kernthemen. Ansonsten geht es um Zuschläge für belastende Tätigkeiten, das betrifft nicht nur den Fahrdienst. Oder auch die Bezahlung der Überstundenzeiten ab der ersten Minute.
Wie stehen denn die Tarifverhandlungen?
Wir stehen noch ganz am Anfang. Wir haben am 5. Dezember zeitgleich in allen Tarifbereichen die Forderungen übergeben und Ende Januar haben die letzten beiden, Hessen und Baden-Württemberg, zum ersten Mal verhandelt. Einige Tarifbereiche haben auch schon zum zweiten Mal verhandelt. Es ist jetzt nicht so, dass wir sagen, da sieht man schon Licht.
Was wollen die Arbeitgeber?
In vielen Bundesländern haben die Arbeitgeber Gegenforderungen auf den Tisch gelegt, ganz besonders massiv in Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen. Sie sagen, ja es mag sein, dass die Arbeitsbedingungen belastend sind, aber wir haben gar kein Geld um so eine Entlastung zu finanzieren, wie ihr das wollt, und wir sehen auch noch Möglichkeiten, Einsparungen vorzunehmen. In Sachsen hat der Arbeitgeberverband angeboten, den gekündigten Tarifvertrag wieder in Kraft zu setzen für weitere 5 Jahre. Das ist natürlich ein irrwitziges Angebot, weil das natürlich keine einzige Verbesserung bringt.
Was sind denn die materiellen Forderungen der Arbeitgeber?
Da geht es oft um das Thema Bezahlung von Krankengeld. Wir haben ja eine gesetzliche Lohnfortzahlung von 6 Wochen, danach gibt es Krankengeld. In unseren Tarifverträgen wird dieses Krankengeld aufgestockt für einen bestimmten Zeitraum, damit Kolleginnen und Kollegen, die länger krank sind, nicht sofort in die Armut fallen. Diese Aufstockung stellen die Arbeitgeber in Frage und wir haben so ein bisschen das auch so gehört, naja wenn wir die Aufstockung kürzen, dann kommen die Leute wieder zum Arbeiten. Als wenn die Kollegen nur zu faul sind und keine Lust hätten und nicht wie es eben wirklich ist, die Probleme von den Arbeitsbedingungen kommen und sie deswegen nicht mehr zur Arbeit gehen.
Ich bin in Brandenburg beim Streik dabei und das scheint ein abgestimmtes Thema zu sein von den Arbeitgebern. Warum wird am Freitag, den 2. Februar gestreikt, wie ist die Stimmung für diesen Streik und findet er flächendeckend statt?
Wir streiken, weil wir sagen, wir müssen jetzt ein Signal setzen. Wir haben eigentlich erwartet, dass die Arbeitgeber dankbar über die gekündigten Tarifverträge sind. denn so können wir in den Verhandlungen die Arbeit attraktiver machen und sie müssen nicht mehr dringend Leute auf dem Arbeitsmarkt suchen. Stattdessen kommen sie uns mit Gegenforderungen und erklären, das wäre nicht finanzierbar und wir müssten die Arbeitsbedingungen nochmal verschlechtern. Das kann natürlich nicht sein. Dieser erste bundesweite Streik wird ein gemeinsames Signal sein. Wir haben auch ein paar große Streikkundgebungen, eine wird zum Beispiel zwischen Wiesbaden und Mainz auf der Brücke über dem Rhein stattfinden, wo sich die Kolleginnen und Kollegen aus Hessen, Rheinland-Pfalz und dem Saarland treffen. Dort wird die stellvertretende ver.di-Vorsitzende Christine Behle sprechen. Ich selber bin in Hannover bei der Streikkundgebung, wo auch Kolleginnen und Kollegen aus Niedersachsen und aus Bremen dazu kommen.
In dieser Tarifrunde wird ver.di auch von der Klimabewegung unterstützt, es werden Unterschriften unter eine Petition von Fahrgästen wie aber auch von Beschäftigten gesammelt. Mit wem arbeitet ver.di da zusammen, um welche Themen geht es und inwieweit spielen tarifpolitische und gesellschaftspolitische Forderungen eine Rolle?
Wir haben in erster Linie ein Bündnis, das heißt „Wir fahren zusammen“. Das ist ein Bündnis mit Fridays for Future. Sie haben uns schon bei der letzten Tarifrunde 2020 unterstützt. Sie sind damals auf uns zugekommen und haben gesagt, Mensch das lässt sich doch gut miteinander verknüpfen, was auch stimmt, was wir auch finden. Der Klimawandel, den die Fridays immer wieder auf die Agenda setzen, braucht ja Maßnahmen, dass man den verhindert und die Reduzierung des Verkehrs ist eine sinnvolle Maßnahme und auch eine zwingende und das geht natürlich nur, indem wir den Anteil des öffentlichen Verkehrs ausbauen. Und wenn der ÖPNV ein Schlüssel zur Bekämpfung des Klimawandels ist, ist natürlich wichtig, dass er auch funktioniert. Dazu sagen die Fridays, das heißt für uns, es ist uns auch wichtig, dass die Arbeitsbedingungen stimmen, damit wir Leute finden, die diesen ÖPNV auch fahren. Da gibt es eine Schnittstelle, mal ganz abgesehen davon, dass wir auch den Klimawandel nicht toll finden und möchten, dass das bekämpft wird, haben wir natürlich vor allem ein hohes Interesse an guten Arbeitsbedingungen. Und dann haben wir gesagt, lasst uns doch mal was zusammen machen und deswegen heißt das „Wir fahren zusammen“.
Die Fridays sind da unheimlich aktiv und tragen dieses Bündnis maßgeblich und sammeln seit dem 15. September auch schon Unterschriften bundesweit bei Fahrgästen, bei ganz normalen Menschen in der Bevölkerung zur Unterstützung unserer politischen Forderungen. Diese lauten bessere Arbeitsbedingungen im ÖPNV, dort steht die Bezahlung als erstes und als zweites, dass sich Bund und Länder an der Finanzierung des ÖPNV beteiligen, auch des kommunalen ÖPNV. Denn das Problem ist natürlich so, dass wir zur Finanzierung des kommunalen ÖPNV in den Kommunen immer weniger Spielräume haben. Und das ist auch der Grund, warum es so schwierig ist, die Arbeitsbedingungen zu verbessern. Viele Kommunen stehen ja unter der kommunalen Finanzaufsicht und können nicht mehr entscheiden, wofür sie Geld ausgeben und da ist klar, wenn wir eine öffentliche Daseinsvorsorge haben wollen, die Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse in dieser Republik, dann müssen Bund und Länder da auch in die Verantwortung gehen und dann kann es nicht sein, dass da, wo eine Kommune Geld hat, ÖPNV stattfindet und vernünftig bezahlt wird und woanders nicht. Es reicht eben nicht, dass man ein günstiges Ticket für alle für das ganze Land macht, sich dann aber nicht dafür interessiert, wie der Verkehr, den man mit diesem Ticket nutzt, zustande kommt.
Wie viele Beschäftigte fehlen denn und hängt das nicht mit den Arbeits- und Entlohungsbedingungen zusammen? Es gibt sicher auch eine Fluktuation. Was sind die Herausforderungen und wie ist der Druck, um zu handeln?
Wir haben zurzeit einen Krankenstand, der im Branchendurchschnitt bei deutlich über 10% liegt und man muss ehrlicherweise sagen, dass die Personalmessung ja nicht mit so einem Krankenstand stattfindet und schon dadurch Beschäftigte im System fehlen. Wenn wir aber ehrlich schauen wollen, wie viele Beschäftigte fehlen, würde ich immer ausgehen von der Frage, wie viele Beschäftigte fehlen denn für gute Arbeitsbedingungen. Wir können natürlich sagen, wir eruieren mal, was jetzt gerade aktuell fehlt, aber selbst, wenn diese Beschäftigten da wären, wäre ja weiter der Druck viel zu hoch. Wir machen gerade mit der Klimaallianz eine Studie, in der wir versuchen, das auszurechnen, nämlich wenn wir vernünftige Arbeitsbedingungen hätten, wie viele Beschäftigte bräuchten wir dann und dann kann man das auch gut bemessen. Das Ziel ist, dass die Studie jetzt noch im Februar rauskommt, damit wir in der Tarifrunde auch darauf zurückgreifen können.
Die Rosa-Luxemburg-Stiftung hat geschrieben, dass fast 50 Prozent des Personals bis 2030 in den Ruhestand gehen werden, was weit mehr als 80.000 Kolleginnen und Kollegen sind. Um bis 2030 die Verdoppelung der Fahrgastzahlen im ÖPNV zu schaffen, müssten dann noch zusätzlich 70.000 neue Beschäftigte eingestellt werden. Hinzu kommt die Notwendigkeit von Entlastungsmaßnahmen. Welche Aktionen sind denn schon durchgeführt worden und wie viele Unterschriften wurden gesammelt?
Wie gesagt, die Fridays sammeln seit dem 15.9. Unterschriften. Wir sind jetzt bei etwa 67.000, die bundesweit gesammelt wurden. Und jede Unterschrift ist da bisher auch ein Gespräch. Die Menschen werden wirklich auch angesprochen. Man sagt ihnen, warum diese ÖPNV-Tarifauseinandersetzung wichtig ist. Damit die Leute nachher nicht, wenn wir streiken, sagen, ihr seid ja alle doof, ich komm nicht zur Arbeit. Sondern damit sie verstehen, dass es darum geht, dass da wirklich eine Entlastung notwendig ist. Wir sammeln gleichzeitig diese Unterschriften in Betrieben natürlich nochmal, dass wir auch zeigen, dass die Beschäftigten auch hinter diesen Forderungen stehen. Wir wollen am 1. März, das ist der bundesweite Klimastreiktag in diesem Jahr, die Unterschriften gesammelt der Bundespolitik übergeben, so dass wir zeigen, wie viele Menschen im Land dahinter stehen, dass der ÖPNV stabilisiert und ausgebaut werden muss.
Wie kann DIE LINKE sinnvoll unterstützen?
Als erstes kann man natürlich ganz konkret helfen, indem man auch diese Unterschriften sammelt. Das Formular findet man auf der Kampagnenseite; es lässt sich leicht runterladen und da steht dann auch, wo man das hinschicken kann wenn es voll ist. Das steht auch auf dem Formular selbst drauf. Wir werden jetzt auch im Februar online unter diese Petition Unterschriften sammeln, also auch das kann man verbreiten und bewerben. Und was uns immer hilft, ist natürlich auch in persönlichen Gesprächen das Thema zu setzen in der politischen Arbeit, dass der ÖPNV wichtig ist und dass aber die Arbeitsbedingungen heute so sind, dass das nicht mehr funktioniert. Am Ende ist eine erfolgreiche Tarifbewegung im ÖPNV zu einem großen Teil auch davon abhängig, wie die Stimmung in der Bevölkerung ist. Wenn wir da eine unterstützende Stimmung haben, fällt es unseren Kolleginnen und Kollegen viel leichter zu streiken und auch länger zu streiken, als wenn sie da von den Fahrgästen beschimpft und von ihren Nachbarn böse angeguckt werden.
Was ist mit konkreten Soliaktionen oder auch Anträgen in Parlamenten?
Was immer gut ankommt, ist am Streiktag mal vorbeizukommen am Betriebshof. Die Kolleginnen und Kollegen sind in der Regel ab morgens um 3 oder 4 Uhr in der Streikwache. Natürlich sollte man sich erkundigen beim Gewerkschaftssekretär. Die Beschäftigten freuen sich immer, wenn jemand kommt und sich solidarisch erklärt und auch mal ins Gespräch geht. Das kann ich immer empfehlen. Es wird natürlich vereinzelt auch Demonstrationen geben, das organisieren die Tarifbereiche vor Ort. Wie gesagt zum 1. März zum Klimastreiktag, den wir mit den Fridays zusammen machen, zu denen wir auch gemeinsam mit anderen Bündnispartnern und Umwelt- und Sozialverbänden aufrufen, da hilft es uns auch, wenn DIE LINKE da mobilisiert und auch hingeht. Ansonsten sage ich jetzt mal, Solierklärungen im Parlament sind unschädlich. Was viel wichtiger ist, dass man eine politische Debatte im Parlament hinbekommt, also in den Kommunalparlamenten darüber, wie man Verantwortung übernimmt für diese Beschäftigten und für die Arbeitsbedingungen, vielleicht auch darüber, wie man sich gemeinsam aufstellt, um Bund und Länder in die Verantwortung zu nehmen. Und in den Parlamenten von Bund und Ländern darüber, wie man eine solide Finanzierung des ÖPNV dauerhaft aufstellt.
Vielen Dank.
Armin Duttine ist Gewerkschaftssekretär und Sprecher der LAG Betrieb & Gewerkschaft in Berlin
Die Tarifrunde im Nahverkehr ist auch Thema auf dem Ratschlag, den die Partei Die Linke und die BAG Betrieb & Gewerkschaft gemeinsam am 2./3. März in Leipzig ausrichten: Gewerkschaftlicher Aufbruch Ost – Für einen Osten, wie wir ihn wollen. So wird dort am Samstag im Panel „Klimabewegung und Gewerkschaften“ die Zusammenarbeit zwischen Fridays for Future und ver.di in der Wir-fahren-zusammen-Kampagne näher beleuchtet . Am Sonntag ist die Tarifrunde Thema in der Arbeitsgruppe „Linke Kampagnen zur Unterstützung zentraler gesellschaftlicher Kämpfe“. Programm und Anmeldung findet ihr hier.